Interview

„Öffentliche Ausschreibungen sind überladen“

Berliner Unternehmen setzen Hoffnungen auf die kommende Verwaltungsreform. Im Alltag stellt insbesondere das komplexe Vergaberecht die Firmen vor große Herausforderungen. Joachim Spitzley als stellvertretender Vorsitzender des IHK-Ausschusses „Funktionierende Stadtverwaltung“ hat eigene Ideen dazu.

Portrait von Joachim Spitzley, Vorstandsvorsitzender der Bito AG

Joachim Spitzley, Vorstandsvorsitzender Bito AG

Mit seinem Unternehmen, der Bito AG, versorgt Joachim Spitzley Betriebe auf Baustellen mit Farben, Bodenbelägen oder Werkzeugen. Seinen Beobachtungen zufolge verlieren immer mehr Firmen das Interesse an der öffentlichen Auftragsvergabe. Das Land Berlin verzichtet damit auf viele leistungsfähige Auftragnehmer. 

Beteiligen Sie sich selbst an öffentlichen Ausschreibungen?

Joachim Spitzley: Nur sehr selten, wenn zum Beispiel mal ein Gartenbauamt ein paar Töpfe Farbe braucht. Aber wir sind indirekt über Architekturbüros oder über die Wohnungswirtschaft an öffentlichen Ausschreibungen beteiligt. Also erleben wir die Problematiken sehr deutlich über unsere Kunden mit. Trotzdem versuchen wir immer mal wieder, Firmen für die Beteiligung an Vergabeverfahren zu motivieren. Aber in der Regel spüren wir, dass sie aufgrund der Komplexität mehr und mehr den Spaß daran verlieren. 

Warum sind öffentliche Aufträge derzeit so relativ uninteressant für Berliner Mittelständler?

Weil öffentliche Ausschreibungen überladen sind mit Bedingungen, die von vielen nicht eingehalten werden können – speziell von kleineren Unternehmen, die gar nicht in der Lage sind, auch juristisch zu prüfen, was alles dahintersteckt. Insgesamt ist der Verwaltungsaufwand so groß, dass er in keinem Verhältnis zum Auftrag steht. 

Was muss sich Ihrer Ansicht nach ändern?

Man kann vieles vereinfachen und entbürokratisieren. Die Verwaltungsreform, die Berlin jetzt anstrebt, sehe ich als einen zentralen Schlüssel dafür an. Ein Problem ist ja, dass wir unzählige Vergabestellen in Berlin haben, in denen einheitliches Recht unterschiedlich praktiziert wird. Es wäre sinnvoll, das neu zu strukturieren.

Wie stellen Sie sich das vor?

Indem man einfache Dinge zentral beschafft, vielleicht unterstützt durch KI und weitestgehend automatisierte Prozesse. An anderen Stellen können dann besonders hoch qualifizierte Mitarbeiter gebündelt werden, um über komplexe Themen zu entscheiden – aber alles auf der Basis von deutlich vereinfachten Beschaffungsregeln. Es gibt Bundesländer, in denen es besser läuft und an denen wir uns orientieren könnten.

Joachim Spitzley
Welches Land ist für Sie ein gutes Beispiel?

Baden-Württemberg – dort ist es gelungen, die Vergabeverfahren deutlich zu vereinfachen. Von 56 Seiten Vergaberegeln sind im Rahmen eines Bürokratie-Entlastungspakets jetzt nur noch zwölf Seiten übrig. Ich glaube, die Ausschreibungen in Berlin sind noch komplexer als die, die es früher in Baden-Württemberg gab. Ich wünsche mir, dass wir es als Vorteil unseres föderalen Systems verstehen, von solchen Best-Practice-Beispielen lernen zu können.

Warum sind Ausschreibungen heute so komplex?

Einer der Gründe ist, dass versucht wird, darüber Politik zu machen. Es werden Vorschriften zur Diversität gemacht, also wie viele Frauen beschäftigt sind. Oder es soll die Kreislaufwirtschaft über die öffentliche Auftragsvergabe in Schwung gebracht werden. 

Was stört Sie daran?

Diese Regeln produzieren einen riesigen Wust Papier und haben nichts mit dem Auftragsgegenstand zu tun. Bevor ich mich mit der eigentlichen Ausschreibung beschäftige, muss ich vielleicht 30 Seiten mit Vorbemerkungen durcharbeiten. Außerdem führen diese Vorgaben oft nicht zu gewünschten Resultaten. 

Können Sie Beispiele dafür nennen?

Wir haben Farbe entwickelt, die in eine Kreislaufwirtschaft eingebunden werden kann. Alle Spitzenpolitiker, die ich dazu gesprochen hatte, fanden das toll. Aber in den Vergabestellen sind diese Produkte hängen geblieben. Den Mitarbeitern fehlte das Know-how zu den Produkten und Marktentwicklungen. Ein anderes Beispiel: In manchen Branchen finden sich kaum noch Unternehmen, die sich beteiligen können, weil in ihnen vorwiegend Männer arbeiten und sie den erforderlichen Anteil weiblicher Mitarbeiter nicht erzielen können.

Es wäre sicher sinnvoll, die Anzahl der Vergabestellen deutlich zu reduzieren“
Joachim Spitzley Vorstandsvorsitzender, Bito AG
Braucht Berlin eine zentrale Auftragsvergabe?

Es wäre sicher sinnvoll, die Anzahl der Vergabestellen deutlich zu reduzieren und in diesem Zuge spezielle Kompetenzen zu bündeln und gezielt weiterzuentwickeln. Bei komplexeren Produkten – zum Beispiel Software – sollte man zu funktionalen Ausschreibungen übergehen und nur noch das gewünschte Ziel formulieren. Um die Angebote dann bewerten und vergleichen zu können, brauche ich qualifiziertes Personal, das die Produkte versteht. So kann Berlin zu topaktuellen und wirtschaftlichen Lösungen kommen. 

Joachim Spitzley, Vorstandsvorsitzender der Bito AG, steht vor einer Wand mit Farbeimern

Joachim Spitzley präsentiert die Farben, die er im Laden seines Unternehmens, der Bito AG, in Heinesdorf verkauft

Kann die Digitalisierung öffentliche Aufträge interessanter für Unternehmen machen?

Der ganze Vergabeprozess kann vereinfacht, standardisiert und digitalisiert werden. Zum Beispiel könnte die Standardbeschaffung von Bleistiften, Kugelschreibern oder Toilettenpapier schnell und einfach abgewickelt werden: Man schreibt eine Zahl rein, eine Beschreibung, was man liefern möchte, und dann kann elektronisch ausgewertet, das Verfahren beschleunigt und ein Auftrag schnell und einfach vergeben werden.

Wie können nicht nur mehr, sondern auch besonders innovative Unternehmen an die öffentliche Auftragsvergabe herangeführt werden, damit dem Land Lösungen angeboten werden die es voranbringen? 

Dafür muss die Option für Nebenangebote stärker genutzt werden, damit auch alternative Lösungsvorschläge abgegeben werden können. Wenn es keine Möglichkeit gibt, von Vorgaben abzuweichen, können ja Technologien, die vor dem Vergabeverfahren nicht im Fokus standen, auch nicht zum Zuge kommen. Das setzt aber voraus, dass es Mitarbeiter in der Verwaltung gibt, die beurteilen können, welche Technologien sinnvoll sind und wirtschaftlich zum Ziel führen. 

Können Sie ein Umdenken und den Willen in der Politik erkennen, die Vergabeverfahren zu vereinfachen?

Der Wille ist auf alle Fälle da. Wenn es wie beabsichtigt gelingt, noch vor der Sommerpause das Gesetz zur Verwaltungsmodernisierung zu beschließen und die Problematik an der Schnittstelle zwischen Senat und Bezirken zu überwinden, dann kann meiner Ansicht nach in folgenden Schritten auch die öffentliche Auftragsvergabe grundlegend reformiert werden. Grundsätzlich will das Land natürlich, dass mehr Wettbewerb entsteht – sowohl qualitativ als auch preislich. Aber dazu müssen eben die Einstiegshürden sinken.

Wird sich die Situation durch die Verwaltungsreform verbessern?

Ich hoffe sehr, dass sie sich dadurch verbessert. Ich sehe die Verwaltungsreform als Basis für alle Entwicklungen und Verbesserungen im öffentlichen Bereich, ob es Entbürokratisierung, Ausschreibung oder Digitalisierung ist. Eine Strukturreform in der öffentlichen Verwaltung ist zudem auch zwingend notwendig und längst überfällig. Die bestehende Verwaltungsstruktur ist vor 105 Jahren entstanden, als Groß-Berlin gegründet wurde und die eingemeindeten Vororte weitgehende Freiheiten erhielten. Bis heute haben wir an der Nahtstelle zwischen Senat und Bezirken immense Reibungsverluste. So bekommt man kein effektives Verwaltungshandeln und auch keine konsequente und schnelle Digitalisierung. Insofern ist das Neuaushandeln der Befugnisse zwischen Senat und Bezirken der Schlüssel. Eine gute Lösung wäre ein Big Point für Berlin.

Kann damit auch die Digitalisierung der Behörden voranschreiten?

Für eine wirkliche Digitalisierung bräuchten alle Ämter die gleiche technische Basis. Davon sind wir weit entfernt. Und es muss auch die Organisationsstruktur geändert werden, nur dann kann konsequent digitalisiert werden – und nur dann wird der Staat überhaupt in der Lage sein, seine Verwaltungsaufgaben auch in Zukunft durchführen zu können. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass der Staat im Zuge des demografischen Wandels weniger Mitarbeiter haben wird.
 

Zur Person

Joachim Spitzley arbeitet seit 1981 in der von seinem Vater Rudolf gegründeten Bito AG. Im Jahr 1996 übernahm er den Vorstandsvorsitz. Zuvor hatte er eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann und ein BWL-Studium absolviert.